Papierdschungel – Studieren als Drittstaatsangehörige*r

Wie ist es wirklich?

Auslandserfahrungen werden häufig romantisiert. Neues Land, neue Sprache, sich mit Locals anfreunden und das private Instagram wird zu einem Reisetagbuch #livingabroad. Dieses Abenteuer kennen auch Aish, Constanza und Olga nur zu gut. Alle drei kommen aus nicht EU-Ländern und sind für ihre Ausbildung nach Wien gezogen.

Für alle Studis, die nicht EU-Bürger*innen, Schweizer*innen oder aus dem Europäischen Wirtschaftsraum sind (EU-Mitgliedsstaaten plus Liechtenstein, Island und Norwegen) gelten andere Zulassungsbedingungen beim Inskribieren. Oder in anderen Worten: sehr viel mehr Bürokratie und Hürden.

„Es wird immer Schwierigkeiten geben, egal wo du bist. In deinem Herkunftsland wirst du hinsichtlich Sprache und sozialem Kapital (fast) immer privilegierter sein. In deinem neuen Zuhause musst du dein Leben einfach von Null aufbauen“, erklärt Olga. Die 29-Jährige ist mit 20 aus der Ukraine nach Wien gezogen, um Informatik zu studieren. Nach kurzer Zeit entschied sie sich aber für Soziologie und schließt bald ihr Studium ab.

„Österreichische Bürokratie ist kompliziert, aber immerhin funktioniert sie“

 

So bewertet Olga ihre Erfahrungen rund um das Inskribieren. Die häufigen Gänge zum SSC, um dann festzustellen, dass wieder ein Dokument fehlt, waren für Olga fast zwei Jahre lang Programm. Ähnliche Erfahrungen machte auch Constanza. Bei der Chilenerin dauerte es auch mehrere Monate, bis sie sich für den Master in IBWL einschreiben konnte.

Der Gipfel der Umständlichkeit: Constanza brauchte einen Brief ihrer Uni in Chile, der besagt, sie wäre für einen Master in BWL zugelassen. Ihre Uni konnte so einen exakten Brief nicht ausstellen. Deswegen durchlief Constanza den regulären Bewerbungsprozess an ihrer Uni in Chile, nur damit sie schlussendlich eine schriftliche Zusage erhielt – für einen Master, den sie nie machen wollte. Sie benötigte nur diesen Letter of Acceptance für ihre Bewerbung an der Uni Wien. Es bräuchte fast das Organisationstalent von Marie Kondo, um bei dem Papierdschungel alles im Blick zu haben. Aber nicht nur ein langer Atem und Organisationstalent sind gefragt, sondern auch ein tiefer Griff ins Geldbörsel. „Für alle notwendigen Übersetzungen und Beglaubigungen der Dokumente habe ich rund 400 Euro ausgegeben“, erklärt Constanza.

► Wie bitte?

Vor allem am Anfang ist der Uni-Alltag sehr verwirrend. Wer soll sich auch bei den vielen Abkürzungen wie SSC, VZ oder LV und Plattformen wie Moodle auskennen – vor allem wenn man Deutsch als Fremdsprache hat.

„Ich hätte mir gewünscht, es wäre noch mehr betont worden, wie wichtig es ist, Deutsch zu sprechen. Selbst wenn man ein internationales Studium in englischer Sprache belegt“

betont Aish. Die gebürtige Inderin war im Zuge ihres Global-Studies-Masters ein Jahr in Leipzig und ein Jahr lang in Wien. Aish machte die Erfahrung, dass sie wegen ihrer mangelnden Deutschkenntnisse einige Angebote wie Infoveranstaltungen verpasst hat. „Das Uniport-Webinar Studieren und Leben in Österreich für Drittstaatsangehörige war sehr nützlich, aber ich habe es erst viel später entdeckt. Ich wünschte, dass solche Informationsveranstaltungen häufiger und auch in englischer Sprache angeboten würden. Viele nützliche Webinare finden zwar statt, aber sie sind meistens auf Deutsch und schließen automatisch viele Studis aus.“

Constanza hatte das Glück, eine Kommilitonin aus Deutschland zu kennen, die bereits länger an der Uni Wien studierte und ihr zur Seite stand. Obwohl sie damals ein Deutsch-B2-Niveau hatte, hatte Constanza ähnliche Schwierigkeiten wie Aish, einfach weil die chilenischen und österreichischen Uni-Systeme so unterschiedlich sind. „Nachdem ich alle meine Prüfungen abgeschlossen habe, wusste ich nicht, wie es weitergeht mit der Masterarbeit. Ich hätte mir gewünscht, dass mir jemand erklärt, wie das geht. Der Ablauf mit Themenfindung, Exposé schreiben und Betreuer*in finden war total neu für mich.

► Solidarität mit der Ukraine

Wenn es drauf ankommt und Menschlichkeit vorgeht, ist Bürokratie unwichtig(er). Diese Erfahrung hat auch Olga gemacht. Die gebürtige Ukrainerin fühlt sich seit dem Ukrainekrieg gut von der Uni Wien unterstützt. „Es war sehr schön zu sehen, wie schnell die Uni Wien reagiert hat, mit vielen Hilfestellungen, wie der Erlass der Studiengebühren für ukrainische Student*innen, Vergabe von Stipendien oder auch die Möglichkeit auf ein Urlaubssemester und gleichzeitig ein notwendiges Schreiben der Universität Wien für Aufenthaltstitel/Studienerfolgsnachweise bei der MA 35“, erzählt Olga.

► Studium vorbei – was jetzt?

Einer der größten Stressfaktoren als Drittstaatsangehörige*r befindet sich außerhalb der Uni und des Hörsaals. Bereits während des Studiums ist der Zugang zum Arbeitsmarkt für Student*innen aus Drittstaaten sehr restriktiv. Sie brauchen eine Beschäftigungsbewilligung (auch für geringfügige Stellen), welche von dem*der Arbeitgeber*in beim AMS beantragt werden muss. „Das war recht frustrierend, weil es immer dauert, bis man eine Bewilligung bekommt. Besonders bei typischen Studierendenjobs sollten die Stellen aber schnell besetzt werden. Deswegen habe ich oft Absagen erhalten“, erinnert sich Olga.

„Noch schwieriger für Drittstaatsangehörige ist die Zeit unmittelbar nach dem Ende des Studiums. Es gibt kaum vollständige Informationen darüber, wie es weitergeht. Diese Ungewissheit zusammen mit Schwierigkeiten bei Visumsangelegenheiten können sehr belastend sein“, sagt Aish.

 

Direkt nach Abschluss des Studiums kann die Aufenthaltsbewilligung „Student*in“ um zwölf Monate zur Arbeitsuche in Österreich verlängert werden (unter Voraussetzungen wie ausreichend Unterhalt pro Monat, Krankenversicherungsschutz usw.) Dieser Prozess war nicht nur für Aish sehr mühsam und häufig von Diskriminierung gekennzeichnet: „Nicht nur ich, sondern viele meiner Drittstaat-Kommiliton*innen und besonders POCs hatten ähnliche Probleme, vor allem bei der MA35. Ihre Vorgehensweise war nicht wirklich transparent und oft muss man dieselben Dokumente mehrmals einreichen.“

► Real Talk

Olga, Constanza und Aish sehen alle drei Verbesserungspotenzial vor allem bei der Kommunikation seitens der Uni Wien. Laut ihnen bräuchte es eine bessere und realitätsnähere Beschreibung, was es denn bedeutet, als Drittstaatsangehörige*r in Österreich zu studieren. Nur so können die zukünftigen Student*innen auf mögliche Hürden besser vorbereitet sein und unnötige Frustration vermeiden.

 


Dieser Artikel ist in unserem Karrieremagazin Rise erschienen.

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