Sinn und Unsinn von Business-Codes

Wie sehr muss ich mich im Job verbiegen?

Wie sehr muss ich mich in meinem Job verbiegen?  Warum herrscht in so vielen Branchen noch immer Anzugspflicht? Und was bedeutet das eigentlich für die Karriere von Frauen? Wir haben mit ExpertInnen über den Sinn und Unsinn von Business-Codes gesprochen, hinter die Fassade von Start-ups und Traditionsunternehmen geschaut und gelernt, dass Architektur den Teamspirit beeinflussen kann.

Ist der Anzug die Uniform im Hamsterrad?

Die Fragen nach der passenden Kleidung, der richtigen Ansprache und den individuellen Branchen-Codes tauchen spätestens vor dem ersten Bewerbungsgespräch auf und sind nicht selten mit Zweifeln und Zukunftsängsten verbunden. In welche Richtung möchte ich mich entwickeln? Welche Jobs kommen für mich in Frage, und muss ich mich dann das restliche Leben in einen Anzug zwängen? In unseren Köpfen trägt der ‚Ernst des Lebens‘ meistes ein Business-Outfit, wie früher die Eltern, wenn sie dich morgens vor der Schule absetzten oder am Abend von der Arbeit heimhetzten. Die Mutter, die endlich die Pumps ausziehen durfte, oder der Vater, der die Krawatte lockerte und das Jackett über den Sessel hing. Werden wir jetzt zu denselben Spießern wie unsere Eltern? Ist der Anzug die Uniform im Hamsterrad?

„Viele Studierende haben Angst vor dem Moment, in dem sie auf einmal ein Business-Outfit tragen müssen. Da fängt plötzlich der Ernst des Lebens an, es ist die Angst vor der Veränderung, Angst vor etwas Unbekanntem“, erklärt ehem. Karriere-Expertin Claudia Bayer von Uniport.

Symbolwirkung von Kleidung

Prof. Eva Flicker, ehem. Soziologin der Universität Wien, konnte in den vergangenen Jahren beobachten, dass analog zum allgemeinen sozialen Wandel die Anzahl der Branchen, in denen Berufskleidung vorgeschrieben ist, kleiner wird. Die Soziologin der Universität Wien weiß über die Symbolwirkung von Kleidung, die auch heute noch in vielen Branchen eingesetzt wird:

„Manche Berufskleidung hält sich aus Traditionsgründen, auch wenn sie absolut nicht funktional bzw. bequem ist.“ Durch das Aussehen und Auftreten der MitarbeiterInnen könne das Unternehmen Werte und ideologische Dispositionen signalisieren. Ein sehr deutliches Beispiel hierfür sei, laut Flicker, die Gastronomie: „Manche Restaurants verlangen von KellnerInnen weißes Hemd, Anzug, Krawatte bzw. weiße Bluse, Stiftrock und Pumps, manche wiederum verlangen ausdrücklich schwarze Jeans, schwarze T-Shirts und schwarze Sneakers – die Kleidung soll somit ein klares Signal an die adressierte Klientel sein.“ Zugleich dienen Uniformen – gleich in welcher Ausprägung – aber auch schlichtweg dazu, Komplexität zu reduzieren. „Würden KellnerInnen Straßenoutfits tragen, wüssten wir nicht, wen wir ansprechen sollen, um eine Bestellung aufzugeben“, fügt Philipp Hofstätter hinzu. Als Trend- und Zukunftsforscher beim Zukunftsinstitut in Wien beschäftigt er sich zwar primär mit zukünftigen Trends – doch wer die Zukunft interpretieren will, muss erst einmal die Vergangenheit verstehen.

Kleidung als klares Signal

Ja klar, den Outfitzwang beim Kellnern kennen wir aus unserer eigenen jüngsten Vergangenheit. Als zukünftige AkademikerInnen ist unsere Hoffnung, uns nicht mit dem Thema ‚Uniform‘ auseinandersetzen zu müssen – es sei denn, wir werden Arzt oder Ärztin, Pilot*in, Apotheker*in oder arbeiten in einem Labor. Doch auch in Anzug oder Kostüm erfüllt man eine gewisse Signalwirkung, erklärt Mag. Philipp Hofstätter, Trend- und Zukunftsforscher im Zukunftsinstitut Wien.

„Wenn ich beim Unternehmensberater oder Bankberater bin, und dieser Mensch ist ordentlich gekleidet, interpretiere ich: ‚Dann wird er wohl auch ordentlich mit meinem Geld oder meinem Unternehmen umgehen.‘“ Die subtile Kommunikation liefe immer unterschwellig mit, und diese Kausalität habe sich so in den Köpfen manifestiert, dass selbst die/der ArbeitgeberIn dem Irrglauben unterläge, ordentlich gekleidete MitarbeiterInnen würden auch ordentliche Arbeit leisten.


Der vermeintlich langweilige Herrenanzug

Eva Flicker beschäftigt sich in ihrer Forschungsarbeit immer wieder mit dem dunklen Herrenanzug: „Dieses vermeintlich langweilige Kleidungsstück trägt weltweit stabil zur Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Ordnung bei – sowohl im Geschlechterverhältnis als auch im globalen Nord-Süd-Verhältnis.“ Zwar hätten Frauen in den von Männern und daher auch visuell von dunklen Herrenanzügen dominierten politischen und wirtschaftlichen Top-Positionen die Freiheit, ein rosa Kostüm oder Ähnliches zu tragen, gleichzeitig würden sie aber auch im Gegensatz zu Männern immer über ihren Körper und ihr Äußeres, ihre Frisur, ihre Kleidung, ihre Stimme etc. bewertet. Was ein enormer Nachteil und klar diskriminierend sei. Flicker erklärt weiter: „Ein Mann zieht sich einen noch so hässlichen dunklen Anzug an und schon gehört er zur dominierenden Mehrheitsgruppe. Eine Frau bleibt in den Anzug-Kreisen und Top-Positionen immer die Ausnahme und im noch so schicken dunklen Hosenanzug ‚nur‘ eine Frau.“ Was auf den ersten Blick nach Freiheit aussieht, habe eine massive strukturelle Schattenseite, die an Teilhabe bzw. Ausschluss von gesellschaftlicher Macht geknüpft ist.

Wie sehr soll oder muss ich mich für einen Job verbiegen?

Karriere-Expertin Bayer betont, dass es wichtig sei, sich im Jobumfeld wohlzufühlen: „Jeder muss für sich selbst entscheiden, ob er oder sie in das Unternehmen, oder die Branche hineinpasst und die Unternehmenscodes, den Unternehmensspirit akzeptieren oder sich im besten Fall sogar damit identifizieren kann.“ In der Regel entscheide ich aber bereits mit der Wahl meines Studiums, in welche Richtung ich mich entwickeln möchte: „Es gibt zwar auch am Juridicum Studierende mit Dreadlocks, die bewerben sich dann aber nicht in einer Kanzlei, sondern eher bei einer NGO oder Menschenrechtsorganisation“, so Bayer.

Einfach die Rollen wechseln

Um trotzdem im Vorstellungsgespräch – egal ob Kreativagentur oder Anwaltskanzlei – richtig gekleidet zu sein, rät die Uniport-Expertin, sich auf das Bewerbungsgespräch so vorzubereiten wie auf ein erstes Date: „Am besten finde ich schon vorab Informationen über das Unternehmen und meinen Gesprächspartner heraus, schaue mir Teamfotos an und sehe, wie sich die Mitarbeiter*innen der jeweiligen Abteilung auf der Website präsentieren. Gut ist es dann, im Bewerbungsgespräch eine Spur overdressed zu sein.“ Und wer Lust auf den Job in einem "offiziellen" Unternehmen hat, aber sich trotzdem vor dem Business-Outfit fürchtet, der sollte einfach die Vorteile sehen: Das Business-Outfit kann ich am Ende des Tages wie eine Uniform ausziehen, an einen Haken hängen, und dann bin ich schlagartig privat.


Dieser Artikel ist ein Gastbeitrag von Miriam Kummer, erschienen im Rise.



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