Welcome to my bubble!

„Hello Bubble! Bitte beantwortet doch mal die Umfrage zu meiner Masterarbeit, dauert nur kurz!“ oder „Ich such am Freitag eine leiwande Technoparty, gibt’s da was? Thanks bubble!“ sind nur zwei der Nachrichten, die im Facebook-Newsfeed von Selena (23)*, Biologiestudentin an der Universität Wien, aufpoppen, sobald sie die App auf ihrem Smartphone öffnet.

*Name von der Redaktion geändert


Auf Instagram ist es nicht anders: Innerhalb der sogenannten Bubble wird mit Zusammenfassungen und Altfragen gedealt, Vintage-Sofas werden angeboten oder gesucht und über die richtige Genderschreibweise diskutiert. Es wird auf Demonstrationen hingewiesen und sich über toxische Männlichkeit echauffiert. Abseits von Social Media geht Selena mit ihren Freund*innen am Wochenende auf Technopartys, besucht Yoga-Kurse, geht an Sonntagen ins Savoy brunchen oder macht sich auf die Suche nach spannender Literatur und Vintage-Kleidung auf diversen Hipster-Flohmärkten. Nebenbei arbeitet sie prekär angestellt, aber das Leben finanziert sich schon irgendwie. Xenophobie, Homophobie, Sexismus, Faschismus oder beispielsweise Leben unter der Armutsgrenze werden in ihrer Freundesgruppe theoretisch diskutiert. Theoretisch, da es praktisch keinen Menschen im engeren Umfeld gibt, der sich dezidiert fremdenfeindlich oder homophob äußern würde. Deren Sexismus über ein gewisses Maß hinausgeht, der oder die als Faschist*in zu bezeichnen wäre oder der tatsächlich unter der Armutsgrenze lebt. Den rassistischen Onkel und die politisch inkorrekte Oma lassen wir mal außen vor.

Die Uni-Wien-Bubble

„In meinem näheren Umfeld gibt es eigentlich kaum jemanden, der nicht studiert. Ich bin sogar mit meinem noch nicht abgeschlossenen Bachelorstudium die Ausnahme, die meisten sind schon viel weiter“, erzählt Selena. Sie ist aus einem kleinen Ort in Niederösterreich für ihr Studium nach Wien gezogen und hat sich ihren Freundeskreis vor allem durch Kontakte an der Uni aufgebaut.

Auch Eva (26) – sie studiert Politikwissenschaften und Gender Studies an der Universität Wien –  erzählt von unterschiedlichen sozialen Gruppen oder eben Bubbles in ihrem Leben, viele geprägt durch ihr universitäres Umfeld. Da gibt es einmal die „akademische Bubble“, die „feministische Bubble“, die man auch als „aktivistische Bubble“ bezeichnen könnte, und die „Millennial-Bubble“. Jede Bubble ist in sich sehr homogen und vereint vor allem eines: Die Mitglieder haben fast alle einen akademischen Hintergrund.

Jacomo (27), BWL-Student an der Universität Wien, würde seine primäre Bubble vor allem als akademisch, jung, politisch korrekt und weltoffen beschreiben. Neben Bildungsgrad und Einstellung sind auch Wohnsituation, politische sowie soziale Einstellung und ökonomischer Background in seiner sozialen Gruppe relativ homogen. Der tägliche Umgang mit seinesgleichen wirkt sich seiner Meinung nach vor allem auf seine Haltung gegenüber altbackenen Ansichten und intolerantem Verhalten aus. Er versteht es schlichtweg nicht, kann mit solchen Menschen nichts anfangen.

Das Phänomen „Bubble“

Spaghetti: Gut. Flüchtlinge: Willkommen. Rassismus: Nope. Gesundes Essen: Gern. Fahrradfahren statt Auto: Fast immer. EU: Ja. Antisemitismus: Nein. Impfen: Ja. Ein Großteil der Studierenden stimmt dieser Meinungsmischung vermutlich zu und auch auf die Frage „Lebst du in einer Bubble?“ lautete die einstimmige Antwort „Ja“. Aber was ist diese Bubble genau? Die Blase existiert auf jeden Fall, sogar im Sprachgebrauch. Eine allgemeingültige Definition gibt es allerdings nicht. Nachgefragt würden die erwähnten Studierenden das Phänomen „Bubble“ als Gruppen bezeichnen, welche Ansichten und Bedürfnisse formen, in sich sehr homogen sind und auch das Verständnis gegenüber Sachverhalten aller Art und gegenüber anderen Gruppen beeinflussen. Und tatsächlich ist es so, dass die Primärgruppe, wie sie in der Soziologie bezeichnet wird, einen signifikanten Einfluss auf unser Weltbild hat. Denn innerhalb von sogenannten Primärgruppen entstehen tiefe, persönliche und enge Beziehungen, welche auch eine wichtige Rolle bei der Ausbildung der eigenen Identität spielen und Einfluss auf die Entwicklung und Kultivierung von Werten, Normen, Moralvorstellungen, Überzeugungen, Weltanschauung und Verhaltensweisen der Mitglieder innerhalb der Gruppe haben, eine Blase eben.

Die „Bubble“ in den sozialen Medien

Neben dem Anglizismus Bubble, der von Jugendlichen und jungen Erwachsenen gebraucht wird, um vor allem die Homogenität von Gruppen zu beschreiben, tragen noch weitere Phänomene dazu bei, unser Weltbild zu formen. Beispielsweise die durch soziale Medien entstehende „Filterblase“, ein Begriff, der durch das Buch von Politaktivist Eli Pariser „Filter Bubble: Wie wir im Internet entmündigt werden“ im Jahr 2011 geprägt wurde.

Rufen wir soziale Netzwerke  und Dienste wie Facebook oder Instagram, YouTube oder TikTok auf, dann werden uns automatisch die Dinge angezeigt, die uns höchstwahrscheinlich interessieren.

Das ist so, weil wir genauso nach Themen im Internet suchen, wie wir auch unser Umfeld auswählen, nämlich nach ähnlichen Interessen, Einstellungen und Meinungen. Die Beiträge, die wir aufrufen, entsprechen unserem Interessensprofil. So trainieren wir die Algorithmen der diversen sozialen Netzwerke sozusagen durch unser Verhalten. Laut der Bundeszentrale für politische Bildung funktionieren die sozialen Netzwerke auf diese Weise, damit man sie gerne nutzt. So wird Rezipient*innen Ähnliches zu den Inhalten, die sie davor konsumiert haben, vorgeschlagen. Artikel beispielsweise, die Personen mit ähnlichen Interessen, ähnlicher politischer Einstellung oder dem gleichen Geschlecht gelikt haben, werden eher ausgespielt und andere mit kontroversen Meinungen und Ansätzen scheinen nicht auf.

Die eigene Komfort-Bubble verlassen

„Sich immer nur in seiner Bubble aufzuhalten, kann aber auch toxisch sein, da man zu wenig mit anderen Lebensrealitäten in Kontakt kommt und dadurch den Bezug verliert“, wie Eva meint. Sie selbst kommt aus den Bergen in Südtirol und erzählt, dass sie zu Hause bei ihren Eltern regelmäßig mit stark abweichenden Meinungen, Einstellungen und auch Realitäten konfrontiert wird, genauso wie in ihrem früheren Job als Mitarbeiterin einer Security-Firma.

Die Arbeit ist auch bei Jacomo ein Berührungspunkt mit Menschen außerhalb seiner eigenen Bubble. Als Verkaufsangestellter bei H&M kommt er jeden Samstag mit Menschen in Kontakt, mit denen er sonst nichts zu tun hätte. Neben vielen spannenden oder auch inspirierenden Erfahrungen mit anderen Bubbles ist der Biologiestudentin Selena vor allem ein negatives Ereignis in Erinnerung geblieben, welches ihr gezeigt hat, wie divers Menschen, ihre Einstellungen, Verhaltensweisen und Gewohnheiten doch sind: In ihrem ersten Praktikum war sie mit einer offensichtlich rassistischen Chefin und dadurch plötzlich mit einer ganz neuen Realität konfrontiert. Die Biologiestudentin glaubt, „dass es schon sehr wichtig ist, die eigene Bubble von Zeit zu Zeit zu verlassen, da man sonst glaubt, dass jede*r so ist und denkt wie man selbst oder auch dieselben Voraussetzungen hat, was aber oft einfach nicht zutrifft“.

Selena ist mit solchen Erfahrungen zwar nicht allein, die eigene Komfortzone zu verlassen bietet aber vor allem auch eines: spannende und inspirierende Erfahrungen, die das Potenzial haben, das Leben um einiges bunter zu machen. So gemütlich die eigene Bubble auch ist, ab und zu das Stammbeisl zu wechseln, sich mit Leuten anzufreunden, die so gar nichts mit dem alltäglichen Umfeld zu tun haben, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen und sie nicht vor neuen Sichtweisen, Perspektiven und Lebensarten zu verschließen, kann unglaublich bereichernd sein. Also:

  • melde dich für einen Salsa-Tanzkurs 60+ an,
  • rede mal mit deiner Nachbarin aus der Ukraine,
  • freunde dich mit MJAM-Lieferant*innen an,
  • frag die Museumsaufseher*innen, wie es ihnen geht und welches ihr Lieblingskunstwerk ist,
  • mach einen Nähkurs oder
  • setz dich zu den coolen Skater*innen auf dem Heldenplatz 

Kurz gesagt, erkunde die Welt abseits deiner eigenen Komfort-Bubble.


Text von Leslie Keferstein
Fotos von Lio Longlife

Das ist die gekürzte Version eines Blogartikels erschienen in der letzten Ausgabe des Karrieremagazins RISE (Oktober/2021).